Ich hänge ihm an:
Die blaue Stunde am Morgen (verzaubert mich)
Ein Armvoll Gelassenheit (es geschieht, was geschieht)
Eine Handvoll Erdnüsse (drei davon golden)
10cm Neuschnee (Stillezone)
Zwei Meter dreifache Schnur (so nah ist ER, verbunden mit mir)
Streichhölzer (damit ich Feuer fange)
Eine Krone (für mich, weil ich es bin)
Ein Stern (damit ich weiß, wohin)
Ein Herz (Schokolade oder etwas anderes, das zergeht)
Der Herr Professor betritt den Friseursalon, während seine beiden Kollegen draußen warten. „Einmal waschen und schneiden“, sagt er leicht gebieterisch. Die Friseurin, die gerade einer Kundin die Haare abbraust, nickt mit dem Kopf nach rechts. „Rita ist frei. Sie haben Glück.“ Rita dreht den Sessel Richtung Gast, der mit seinem langen Mantel sehr vornehm aussieht, und lächelt ein bisschen verlegen. Sie hilft ihm aus dem Mantel und nimmt ihm auch das Kästlein ab, das er wie ein Geschenk vor sich herträgt.
Er lässt sich in den Sessel fallen und raunzt: „Der Weg war weit, die Mähne muss kürzer.“ Rita lässt das Wasser laufen bis es warm ist. „Sie sind nicht von hier?“, fragt sie vorsichtig. „Aus’m Osten“, brummt er. „Und was verschlägt sie hierher in unsere kleine Stadt mitten im Winter?“ Sie beginnt mit dem Einschäumen. „Die Wissenschaft“, sagt er. „Oh“, sagt Rita, „was gibt’s denn hier zu forschen? Die nächste Uni ist weit.“ „Sterne“, sagt der Professor, „Astrophysik“. „Hier in unserem Nest?“, murmelt Rita. Und dann lauter: „Wie kurz hätten Sie es denn gerne?“ Sie greift nach der Schere. „Ach, muss nur ordentlich aussehen für das Meeting“.
Rita schneidet. Die Einsilbigkeit des Gastes verunsichert sie. Dann traut sie sich doch: „Sterne“, sagt sie, „gibt’s hier was Besonderes?“ „Ist kompliziert, gute Frau. Das erklär ich ihnen ein andermal. Aber kann sein, dass euer Nest nochmal berühmt wird. Fönen können Sie sich sparen Das trocknet an der Luft Wir müssen weiter. Wie viel macht das?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, springt er auf, drückt Rita einen großen Schein in die Hand, schnappt sich sein Kästlein und den Mantel und steht im nächsten Augenblick draußen bei seinen Kollegen. Rita betrachtet den Schein in ihrer Hand. Ordentliches Trinkgeld, denkt sie, die Sterne stehen günstig.
Einem Stern zu folgen
Zwei Zeitfenster zu finden
Drei Schafe zu umarmen
Vier Kerzen zu entzünden
Fünf krumme Wege gerade sein zu lassen
Sechs unerledigte Aufgaben endgültig zu streichen
Sieben Brücken zu begehen
Bethlehem, 24.12.
Jetzt ist sie still, diese Nacht. Hier in der Herberge kehrt nun auch Ruhe ein. Trotzdem kann ich noch nicht schlafen. Das schlechte Gewissen hält mich wach. Als ich heute in Bethlehem ankam, war der Trubel riesig. Richtig froh war ich, dass ich hier in der Herberge das letzte freie Zimmer ergattern konnte. Der Wirt war im Stress. „Wahnsinn, was hier los ist“, sagte er.
Diese Volkszählung vom Kaiser sorgt für mehr Wirbel als man glauben sollte. Zu Tausenden treibt der Augustus die Leute durchs Land, nur um noch mehr Steuern einnehmen zu können. Ich war froh, ein Bett zu ergattern, wo ich mich ausstrecken konnte. Dann aber war an Ruhe nicht zu denken.
Erst war es draußen ungewöhnlich hell, obwohl die Sonne längst untergegangen war. Da stimmt irgendwas nicht mit Mond und Sternen. Dann das Schreien und Stöhnen einer Frau von draußen über’n Hof. Gefolgt vom Schreien eines Babys. Als wäre dort drüben im Stall gerade ein Kind geboren worden. Und dann, als Baby und Mutter endlich ruhig waren, wimmelt es auf einmal von Leuten draußen. Da bin ich runter gegangen, um mal nachzusehen. Und tatsächlich, erzählt der Wirt mir, er habe für eine schwangere Frau kein Zimmer mehr gehabt, und hat sie in den Stall geschickt. Dort habe sie ein Kind geboren.
Ich schimpfte mit ihm. Warum er denn nicht Bescheid gesagt hat. Ich hätte doch der werdenden Mutter mein Zimmer überlassen können. Er kann doch nicht mir das letzte Bett geben und eine Hochschwangere in den Stall schicken. Das ist ein Notfall. Der Wirt zuckte nur die Schultern und sagte, immerhin habe er ja kein Geld von ihr genommen. Wenn ich so viel Mitleid habe, dann könne ich der Frau ja jetzt noch anbieten zu tauschen. Das Zimmer sei ja schon bezahlt.
Na, dachte ich, da gehe ich gleich rüber. Aber es war kein Durchkommen. Im Hof vor dem Stall standen lauter Hirten und hatten auch von ihren Schafen einige mitgebracht. Kann mir nicht vorstellen, dass die irgendwas mit dem Kind zu tun haben. Aber die ließen mich nicht durch. Standen da vor dem Stall herum und schubsten mich zurück und grummelten „Ey, wir waren zuerst da“. Und: „Das hier ist nur für Hirten. Ein König für uns, ein Hirtenheiland. Gotteskind.“
Das verstehe wer will. „Leg dich nicht mit den Hirten an“, sagte der Wirt. Hirtenheiland. Was das sein soll, fragte ich. Aber er zuckte nur die Schultern. Das Kind jedenfalls schreit nicht mehr. Ihm scheint der Hirtenauflauf nichts aus zu machen. Werde Mutter und Kind morgen besuchen. Den Hirtenheiland. Vielleicht können sie dann noch ein Bett gebrauchen, Mutter und Kind. Am Geld soll’s nicht scheitern. Die können ja nicht noch eine Nacht im Stall bleiben.
Ich rolle einen roten Teppich aus für den unglaublich freundlichen Paketzusteller. Er nimmt sich auch kurz nach sechs abends noch Zeit für ein Schwätzchen. Ich rolle einen roten Teppich aus für die unverbrauchten Worte und Bilder, die das jedes Jahr Gleiche ganz neu zeigen. Ich rolle einen roten Teppich aus für das Wort Danke. Fünf Buchstaben, die so vieles verändern. Ich rolle einen roten Teppich aus für die, die erschütterbar bleiben und widerstehen. Für die Kofferträger und Briefeschreiber. Ich rolle einen roten Teppich aus für meine Wünsche. Selbst wenn ich noch nicht alle entdeckt habe. Darf ich das? Mir selbst einen roten Teppich ausrollen? Andere haben ihn nötiger als ich. Ich weiß. Ich glaube, ich darf. Dies ist kein Wettbewerb.
Altes Jahr umständehalber abzugeben (Achtung: Verfallsdatum fast erreicht!). Deutliche Gebrauchsspuren, Kratzer und Schrammen vor allem im letzten Drittel. Ansonsten aber voll funktionstüchtig. Eignet sich nicht mehr zum Aufhängen und Ausstellen, aber für Tüftler und Bastler zum Ausschlachten. Enthält Sammlung von einigen glänzenden Erinnerungen, Gipfelerlebnissen und überwältigenden Ausblicken, allerdings ungeordnet und vermischt mit steilen Wegen Schweiß und Angst. Weiteres Zubehör wird nicht mitgeliefert. Umtausch und Rücknahme ausgeschlossen.
Jesus traf die Entscheidung kurz nach seinem 19. Geburtstag. Er ging zu seinem Vater und warf ihm den Hammer, Säge und Nägel vor die Füße. „Zimmermann ist nicht mein Ding.“ Josef sagte nichts. Die Enttäuschung war ihm anzusehen. Maria seufzte und bewegte alles in ihrem Herzen. Dann sagte sie: „Aber du hast solche Fortschritte gemacht. Du kannst längst deinem Vater das Wasser reichen.“ Jesus schwieg. „Jeder vernünftige Mann muss etwas bauen können“, sagte Josef. Jesus aber nahm sich Pergament und Feder aus der Werkstatt. Fortan drechselte er Worte, zimmerte Geschichten und traf mit kurzen Sätzen den Nagel auf den Kopf. „Ich baue auch etwas“, sagte Jesus zu seinen Eltern, und nannte es Reich Gottes. Maria und Josef fragten sich, was das sein sollte.
Eine Duftprobe
Notenblätter von Weihnachtsliedern
Eine Aussicht auf Zeit
Ein gemachtes Bett
Blauer Himmel über weißen Dächern
Wortfetzen
Ein Bedürfnis hinter dem Gefühl
Besuchsvorfreude
Eine Schachtel Feuer
Etwas, das plötzlich stimmt
In der Weihnachtslotterie habe ich ein Sixpack Trost gewonnen. Das erste Mal, dass ich in einer Lotterie oder einem Preisausschreiben überhaupt etwas gewonnen habe. Das ist eigentlich schon Trost genug. Ich wusste gar nicht, dass man Trost auch auf Vorrat bekommen kann. Weihnachten macht’s möglich. Werde ihn mir gut einteilen.
Ehrlich gesagt: Die erste Packung brauche ich wohl schon vor Weihnachten. Weil die Zeit mich im Stich gelassen hat, weil ich nicht eine einzige Geschenkidee habe, weil immer noch bombardiert wird. Ich lasse das Sixpack gleich neben dem Küchentisch stehen. Und wenn dann der nächste Morgen sowas flüstert wie „Du kleines Licht, du“ oder so ähnlich, dann schnappe ich mir das ganze Sixpack, stelle es mitten auf den Tisch und sage „Du kannst mir gar nichts!“
Das erste, was ich sehe, als die Tür hinter mir zuklappt, ist ein Feuer. Ein kleines Lagerfeuer. Ich stehe inmitten einer Wüste, in der die Hitze den Sand zu goldfarbenen Stein gebacken hat. Nur weiter hinten, wo der Fluss fließt, ist es grün. Ich trete näher an das Feuer heran. Mit dem Rücken zu mir sitzt ein Mann am Feuer und stochert mit einem Holzstück in einer flachen Schale, die am Rand des Feuers in der Glut steht.
Ich trete näher. Was in der Glut bruzzelt, sieht aus wie Heuschrecken. Der Mann bemerkt mich und dreht sich zu mir um. Zwischen wilden Haaren und einem wilden Bart lächeln mich zwei Augen an. „Du bist der Erste. Willkommen!“, sagt er. „Der Erste wofür?“, frage ich. „Für die Umkehr, den Neuanfang. Das, was nichts taugt, hinter sich lassen. Aufbrechen. Etwas wagen.“
Ich kann mit seiner Antwort nichts anfangen. Muss wohl ganz von vorne anfangen. Also platze ich mit Fragen heraus: „Was tust du hier? Wer bist du überhaupt? Und wo bin ich? Und was für ein Neuanfang?“
„Ein bisschen viele Fragen auf einmal. Über jede einzelne könnte man vortrefflich philosophieren. Aber nach mir kommt einer, der kann dir viel bessere Antworten geben. Dem kann ich nicht das Wasser reichen. Ich bereite ihm nur den Weg. Also fangen wir einfach mal an: Was möchtest du am allerliebsten?“
„Ich, ähm, ich möchte nach Hause. Ich weiß nicht, wo ich hier gelandet bin.“ Er sieht mich nachdenklich an und sagt lange nichts. „Ja, das fragen sich alle, seitdem wir nicht mehr im Garten Eden leben. Aber wir kommen nicht so schnell aus diesem Schlamassel heraus. Da gibt es keinen Hinterausgang. Du wirst auf ihn warten müssen. Er bringt dich nach Hause. In der Zwischenzeit kannst du mal was neues probieren.“ Sagt’s und reicht mir die Schale mit den Heuschrecken.
Als Maria „Nein“ sagt, wird der Engel Gabriel ganz bleich, drei Astronomen lassen den Kopf auf den Tisch sinken und Gott höchstpersönlich fragt: „Warum?“ „Ich will nicht“, sagt Maria. „Ich will Politikwissenschaften studieren. Die Welt braucht eine Revolution. Da kann ich mich nicht um ein Kind kümmern.“ „Ähm“, räuspert sich der Engel, „ein Nein ist nicht vorgesehen.“ „Und was ist mit unseren Berechnungen?“, fragt einer der Astronomen. Der zweite sagt: „Vielleicht haben wir etwas übersehen?“ „Papperlapapp“, sagt der dritte, „die Sterne lügen nicht.“ „Haltet euch da mal schön raus“, raunzt der Engel, „den Lauf der Planeten und Sterne bestimmt ein anderer.“
So gibt ein Wort das andere. Maria lässt sie reden. Gott murmelt „Wo ein Wille ist…“ Der Engel hat das natürlich gehört und startet geflissentlich einen weiteren Versuch: „Vielleicht können wir es dir etwas leichter machen. Ein schickes Geburtshaus? Windeln inklusive, Hebammen? Eine Audienz mit Kind beim König?“ Maria schüttelt den Kopf.
Es klopft. Josef steht vor der Tür. „Hey, Schatz, schau mal, was ich beim Preisausschreiben gewonnen habe.“ Er wedelt mit einem Gutschein. „Ein romantisches Wochenende zu zweit in Bethlehem. Übernachtung im Heu. Eselswanderung. Exklusivverkostung von Hirtenkäse. Bist du dabei?“
1 Lichtl1 kommt
so 1fach
kann mit hellem Sch1
ganz all1
m1e kl1e Welt
verwandeln
1 wolkiges Morgenrot
1 halber Halm
1 angefangenes Lob
1 halbes Herz
1 Sekundentraum
mehr oder weniger
W1nachten
Der Engel des Trostes hat große Augen, große Hände und ein großes Herz. Er verschließt seine Augen nicht vor der Wirklichkeit, sondern sieht ganz genau hin. Er sagt „Ich weiß“, wenn er am Abend vorbeikommt und neben mir auf dem Sofa sitzt. Wenn die Nachrichtensprecherin im Fernsehen sich verabschiedet, bleibt der Engel noch und legt mir eine Hand auf die Schulter.
Seine Flügel sind so groß, dass es ein Leichtes ist für ihn zu fliegen. Aber er hat mich noch nie mitgenommen. Mit seinen großen Händen kocht er mir blitzschnell sein Lieblingsessen, dass auf geheimnisvolle Weise auch meines ist in dem Augenblick. Wenn ich aufstehen und ihm helfen will, drückt er mich sanft zurück. „Du brauchst gar nichts zu tun“, sagt er.
Der Engel des Trostes kennt sie alle: die verpassten Chancen, die falschen Worte, die Risse im Herzen und die Schrammen auf der Seele. Und er hat sie alle lieb. Keine Ahnung, wie er das macht. Manchmal, wenn er die ganze Nacht geblieben ist, dann sitzt er morgens in der Straßenbahn auf dem Weg zur Tagschicht ganz woanders und sieht kein bisschen müde aus.
Ich bin mir sozusagen sicher, dass der Advent sozusagen lieber zu Fuß geht. „Wieso sozusagen?“, meckerst du, „entweder bist du dir sicher oder nicht.“ Das stimmt natürlich. Sozusagen ist das Wort, das in der Hintertür all meiner Gewissheiten und Sicherheiten liegt und die Tür einen Spalt offen hält. Das liebe ich an diesem Wort. Sozusagen. Es hindert andere Worte daran, die Dinge oder Menschen festzunageln. Es schenkt Freiheit, es macht möglich, dass es auch ganz anders sein könnte. Sozusagen ist der beste Freund von gewissermaßen, so gut wie, eigentlich und gleichsam – wenn man so sagen will. Dieses Wort lässt es zu, dass ich dazulerne, eines besseren belehrt werde, nicht recht haben muss. Es ist – sozusagen – die Möglichkeitsform von glauben und lieben. Es rettet mich, wenn ich mich wieder einmal darin verrenne, Mister Einhundertprozent sein zu wollen. Sozusagen.
Er liebt die Symbole
Hämmert Worte in die Köpfe
Da überraschst er mich.
Ich überlasse ihm die Auswahl.
Der Leuchtturm steht auf dem höchsten Punkt der Felseninsel und schaut hinaus auf den Atlantik. Über dem schwarzen Wasser wölbt sich ein Grau. Der Wind schneidet Eisluft. Kein Schiff, kein Mensch so weit das Auge reicht. Ich stehe vor dem Häuschen neben dem Leuchtturm, das einen Riegel vor der Tür trägt.
„Sie kommen und sie gehen“, sagt der Leuchtturm. Ich betrachte das Haus, höre das Wasser, fühle den Wind wie Nadeln im Gesicht. „Und du?“, frage ich. „Ich bleibe“, sagt er.
„Keine Pläne, dich zu ersetzen?“
„Licht brauchen sie immer“, sagt der Leuchtturm und klingt bescheiden dabei.
„Land in Sicht“, murmele ich. Beide schauen wir aufs Wasser hinaus. Halten dem Eiswind stand. Er kann uns nichts anhaben.
„Wie machst du das?“, frage ich den Leuchtturm.
Er zwinkert mir zu. „Drei Blinks alle dreißig Sekunden und zwei Blitze alle zwanzig Sekunden, sobald es dunkel wird.“
Der Schnee knirscht so schön unter meinen Füßen. Wie viele Schneeflocken habe ich heute zertreten? Jedes dritte Kind kann nicht richtig rechnen, sagt die Pisa-Studie. Das ist ungefähr die Hälfte. Ich zähle zertretene Wunder und geb’s auf: Die steiggefrorenen Finger lassen sich nicht bewegen. Ich muss in meinem Alltag Pausen einbauen. Das nächste Adventswochenende kommt bestimmt. Vorher Homeoffice. Am liebsten freitags. Ich gehe zu spät ins Bett. Es ist Advent.
Es ist Zeit, das Licht zu halten.
Es ist Mandelzeit.
Es ist Zeit, Momente zu sammeln.
Es ist Zeit, dass Könige sich auf den Weg machen.
Es ist Zeit, die wiederkehrt.
Es ist Frierzeit und Wärmzeit.
Es ist die Zeit, in der etwas geboren werden will.
Der Nikolaus gibt sich keine Mühe, sein Gähnen zu verstecken. Es stört ihn nicht, wenn alle sehen, dass er sich langweilt. In diesem Augenblick wünscht er sich, wie ein Meteorit auf die Erde zu stürzen. Unerwartet. Aus einem noch glühenden Himmel mitten auf den Weg zwischen ahnungslosen Menschen. Könnte sein, dass er jemandem auf die Füße fällt. Alles wäre besser als das ewige Immergleiche, das Erwartetwerden, das alberne Ho-ho-ho, die tiefe Stimme, die Frage nach braven Kindern und die süßen Geschenke. Stattdessen wünscht er sich ein Erschrecken, einen kleinen Krater im Vorgarten. Die Leute würden zusammenzucken. Würden aufhören, egal was sie gerade Wichtiges zu tun haben. Würden zusammenlaufen, vom Kraterrand hinunterblicken. Dort unten würden sie das sehen, was von ihm beim Eintritt in die Menschensphäre nicht verdampft ist: Der Hirtenstab, seine Schwäche für die Hungernden und ein Friedensschwur.
Das Morgenrot hält sich den ganzen Tag. Der Stern scheint zur Mittagsstunde. Wir werden selig durch den Schnee wandern von einem Feuer zum anderen. Kinder tanzen dort und singen. Das morsche Holz wird gut genug sein, um ein Haus zu bauen. Schiefe Töne werden sich über den Himmel verteilen. Die Luft voller Musik wird die Geldzähler zu Hirten verwandeln und Knauserige zu Wirten. Der Abend wird der Morgen sein. Alle werden aufstehen, erfrischt und ausgeschlafen. Die Wege werden wie der Himmel sein: endlos und morgenrot.
„Wo?“, hatte Gott gefragt.
„Vorm Kiosk“, hatte Maria gesagt. „Da wo die Leute cornern.“
Gott trug einen Hoodie und gefiel ihr. Trotz des Namens. Der war eine Nummer zu groß, und sie wusste nicht, ob sie ihm glauben soll. Dass er ein Kind will, hatte er als allererstes gesagt.
„Warum?“, wollte Maria wissen.
„Damit ich mich spiegeln kann.“
Vielleicht nuschelte er. Vielleicht fuhr ein Bus vorbei, jedenfalls verstand Maria „spielen“. Damit ich spielen kann. Das berührte sie.
„So allein? Oder warum spielen?“
„Spiegeln“, wiederholte Gott nun überdeutlich. „Und ja, so allein. Alleinsein, das passt nicht zu mir.“
„Spiegeln“, murmelte Maria. Sie musterte ihn von oben bis unten. „Reicht es dir nicht, dass es dich einmal gibt?“
Gott lächelte als würde er sich über Marias etwas unwirsche Antwort freuen. „Eben drum“, sagte Gott, „deshalb frage ich dich ja. In einem Kind kann ich nochmal ganz anders zur Welt kommen.“
„Hui, bist ’n kleiner Philosoph, was?“
„Ich sage einfach, was ich denke. Und was ich will“, antwortete Gott.
„Naja, wer sich Gott nennt…“. Maria brachte den Satz nicht zu Ende, weil sich ein anderer Gedanke dazwischen schob. „Warum ich?“, fragte sie.
„Du gefällst mir.“
„Aber an mir ist überhaupt nichts Besonderes.“
„Gerade deshalb“, sagte Gott. „Ich will kein besonderes Kind, ich will ein ganz normales.“
„Und wie stellst du dir das vor? Was soll ich tun?“
„Nichts“, sagte Gott.
Maria musste grinsen. „Von nichts kommt nichts“, sagte sie.
„Doch“, sagte Gott, „bei mir schon.“
„Du bist lustig“, sagte Maria.
„Ich bin so wie ich bin. Kann halt nicht anders“, sagte Gott kein bisschen entschuldigend.
„Also, was muss ich tun?“, fragte Maria noch einmal.
„Ja sagen. Vertrauen haben. So kommen Kinder zur Welt.“
„Ich seh schon, du hast ja voll die Ahnung“, sagte Maria und bereute im selben Augenblick den spöttischen Ton.
„Ist das ein Ja?“, fragte Gott.
„Meinetwegen“, sagte Maria, „da bin ich mal gespannt.“
„Super“, sagte Gott. „Komm, ich geb dir einen aus“, und kaufte für Maria am Kiosk eine Bockwurst und ein alkoholfreies Bier. Er selber nahm nichts.
Herein
Ich nehme den Tee pur, wie jeden Morgen. Kandis müsste noch irgendwo sein. Die Apfelsinen dösen noch im Supermarkt. Aber Zitronenschale hätte ich. „Erstmal die Kerze“, denke ich. Die grüne, die neben den drei anderen da auf der Küchenkommode steht. Ohne Kugeln, Zapfen und Tannengrün. Soweit bin ich noch nicht. Da klopft es. Ohne ein Wort tritt der Advent herein. Zerzaust, Schneeflocken im Haar, und so langsam wie minus zehn Grad. Kein Gruß, nur ein milder Blick. „Hier bitte“, sagt er, als würde er dabei einatmen, und wirft mit seiner steifgefrorenen Hand Orangenschale in meinen Tee. Eine Nelke hinterher. Der Duft verwandelt mich. „Kandis hätte ich noch, irgendwo“, murmele ich verlegen. „Muss nicht“, sagt er. „Doch“, sage ich und finde ihn auf wundersame Weise auf Anhieb in der Küchenkommode. Lege einen in seinen Becher, schenke ihm ein. Es knackt als würde sich ein Schloss öffnen. Wir setzen die Becher an den Mund wie beim ersten Kuss, ganz vorsichtig, weil wir nicht wissen, was noch kommt.
Kleine Standortbestimmung
Ich bin müde, obwohl ich genug geschlafen habe. Eigenartig. Die Müdigkeit sitzt nicht in den Knochen, hängt nicht bleiern an den Augenlidern. Sie liegt über dem Herzen. Es muss noch aufwachen. Wohl zu der halben Nacht.
In der Weihnachtsgeschichte wäre ich die Laterne im Stall. Mal hält mich Josef in die Höhe, mal stehe ich an der Seite, irgendwo oben. Ich gebe Licht. Nicht mehr, nicht weniger. Bin einfach da. Werde gebraucht. Nicht für alles auf einmal. Nur für das Eine. Mir fehlt das. Ich habe es verlernt, einfach nur da zu sein. Im Dunkeln reicht ja schon ein kleines Licht. Eines so wie ich. Der Engel sagt: Welch eine Freude, dich zu sehen.
Der Advent beginnt auf der kleinen Anhöhe im Park nebenan, wo der Blick nach Osten frei ist und um 8.03 Uhr sich der wolkenlose Himmel rot färbt.
Der Advent beginnt mit den Nachrichten: Es wird wieder geschossen. Der Frieden verspätet sich.
Der Advent beginnt in den Augen von Clara, die so auf ihr Neugeborenes blickt, als wäre alle Sehnsucht gestillt.
Der Advent beginnt mitten in der Nacht, in der Tonje nicht schlafen kann, weil sie auf Jasper wartet. Aber er hat sich entschieden zu gehen.
Der Advent beginnt auf meinem Schreibtisch, wo jetzt die halb abgebrannte rote Kerze steht, die ich in einer Kiste mit lauter Zeug gefunden habe. Die genügt fürs Erste.
Vom 1. Advent bis Heiligabend jeden Tag hier an dieser Stelle (oder auch bei Instagram) Inspirationen, Gedanken, Geschichten, Sternminuten.
Wartest du auf Weihnachten oder wartet Weihnachten auf dich? Ist Advent der alte Bekannte, den du nach langer Zeit endlich mal wieder siehst? Wie lange darf er bleiben? Auch über Nacht? Was gefällt Gott am Advent? Sind mehr Engel unterwegs?
War es schon mal erfüllend, einen Wunsch aufzugeben? Ist Advent ohne den Nikolaus vorstellbar? Kommst mit etwas wie die Jungfrau zum Kinde? Hältst du es für möglich, dass Gott dich besuchen möchte?
Die diesjärige Datei mit den Losungen konnte nicht gefunden werden. Weitere Infos in der ReadMe.md des Plugins.