Am 17. Mai ist Norwegens Nationalfeiertag. Nationalfeiertage werden überall auf der Welt und ganz verschiedene gefeiert und begangen. Norwegen hat seinen ganz eigenen Feiertag. Neben dem Nationalfeiertag ist es zugleich ein Tag der Familie und vor allem der Kinder. Sie stehen ganz im Mittelpunkt dieses Tages. Es gibt wohl nur wenige Länder der Erde, die so klar und konsequent an ihrem Nationalfeiertag auf große Militärparaden, offizielle Aufzüge oder Demonstrationen von Macht, Wohlstand und Ruhm verzichten und stattdessen die Kinder in den Mittelpunkt nehmen.
Gekleidet wird sich an diesem Tag in der schönsten und festlichsten Garderobe. Ein ausgiebiger Friseurbesuch am Vortag ist durchaus nicht unüblich. Alle, wirklich alle tragen Festkleidung, mindestens einer (am besten der eigenen) Hochzeit angemessen. Nur Touristen, die allen Ankündigungen und Hinweisen von Gastgebern und Reiseführern misstrauen, tragen lediglich „Geburtstagskleidung“. Sogar die Jugend trägt feinste Anzüge, selbstverständlich mit Krawatte, Kleider und Hut. Oft sind in der aufwendigen Kleidung die Nationalfarben, blau, weiß, rot, zu erkennen. Viele Menschen kommen im Bunad, den Trachten der jeweiligen Herkunftsregion. Bunader gelten in Norwegen zu allen Anlässen als absolut angemessen und haben nichts mit dekortierten oder kommerzialisierten Oktoberfestgewändern zu tun. Jede Region, fast jeder Ort hat sein eigenes Bunad für Frauen und Männer. Sie sind sehr kostspielig und jede Frau und jeder Mann hat nur eines, was sie bzw. er sehr aufwendig pflegt und erhält.
Der Nationalfeiertag beginnt in allen Städten mit einem großen Festumzug, dem stets die Kinder und Musikkapellen vorangehen.
In Oslo zieht der Festumzug am Schloss vorbei, auf dessen Balkon wo die Königsfamilie steht. Der Festzug wird eröffnet von jungen Tänzerinnen und Tänzern, die in Bunader aus fast allen Teilen des Landes gekleidet sind. Eine kleine Abordnung der Königlichen Garde läuft ebenfalls an der Spitze des Zuges mit. Noch in einiger Entfernung zum Schloss führen sie ein kleines „Militärballett“ auf, was eher eine Parodie auf die Militärzeremonien anderer Nationalfeiertage ist. Am Schloss selbst überlassen sie den Zug den Kindern.
Der mehrere Stunden dauernde Festzug ist zusammengesetzt aus Schülerinnen und Schülern aller Osloer Schulen. Jede Schule trägt ihre eigene kostbare und bunte Fahne vor sich her und wird begleitet von einem eigenen Musikkorp. Die Korps können klein sein oder auch über 30 Mitglieder haben. Sie üben das ganze Jahr an ihrer Musik für diesen Tag. Jedes Schulkorp hat eine eigene Kleidung und zusammen sorgen sie schon in den Tagen zuvor für allgegenwärtige, fröhliche Musik. Die einzigen Erwachsenen, die im Umzug mitlaufen dürfen, sind Lehrerinnen und Lehrer und Erzieherinnen und Erzieher. Als erste Schule wird immer eine ausgewählt, die ein besonderes Ereignis in dem entsprechenden Jahr begeht. Die restliche Reihenfolge wird ausgelost. Schon Wochen vor dem Umzug steigt in den Schulen die Aufregung, an welchem Platz man mitlaufen kann. Vor jeder der knapp 200 vorbeiziehenden Schulen zieht der König seinen Zylinder. Den Abschluss des Zuges bilden traditionell die Rus, die Abiturientinnen und Abiturienten des entsprechenden Jahres. Sie tragen, je nach Schultyp rote, blaue oder schwarze Overalls und Hüte. Der Umzug ist der Höhepunkt und Schlusspunkt der Russetid/Feierzeit, in der die jungen Leute mit viel Kreativität und Lautstärke mehrere Wochen lang das öffentliche Leben bereichert und manchmal auch auf verschiedenste Proben gestellt haben.
Umzug und Schlossplatz werden gesäumt von unzähligen Menschen in „Hochzeitskleidung“, norwegischen Fahnen, Gesängen und Jubelrufen.
Die Umzugsteilnehmenden jeder Schule laufen, nachdem sie die Königsfamilie gegrüßt haben, dann zu ihren Schulen. Dort haben Eltern und Lehrer nach Möglichkeit im Freien ein Kinderfest, ein paar kurze Reden und jede Menge Eis, Würstchen und Süßigkeiten vorbereitet. An diesem Tag gilt, dass alle Kinder soviel davon essen dürfen, bis sie …
Auch Vereine, zu denen Kinder gehören, laden zu Spielen, Süßigkeiten und Tanz ein.
Und wenn das Wetter einigermaßen gut ist, kann man dann ab frühem Nachmittag in Gärten und Vorgärten etwas beobachten, was es wohl nur in Norwegen gibt. Nach Möglichkeit in Sichtbarkeit zur Straße, damit alle etwas davon haben, sind die festlichsten und geschmücktesten Tafeln aufgebaut, die mit edlem Geschirr und edelster Tischdekoration zu gestalten sind. Selbst zu Weihnachten sind die Menschen und Tafeln nicht festlicher geschmückt. Und dann findet der Nationalfeiertag als richtiges Familienfest statt. Man lädt die Familie und engste Freunde ein, es gibt kleine Geschenke und Reden, Musik und Gesang. Alkohol spielt kaum eine Rolle. Der ist in Norwegen in der Öffentlichkeit und erst recht da, wo Kinder sind, völlig tabu. Bierseeligkeit und Gerempel, Dauerlautsprecherbeschallung, Imbissbudenparcours und Katerstimmung am nächsten Morgen fehlen ebenso. Es ist ganz selbstverständlich, am nächsten Tag wieder zur Arbeit zu gehen, fröhlich, voller Eindrücke und sicherlich auch etwas stolz darauf, dass Nationalfeiertag in Norwegen in seiner familiären Festlichkeit und fröhlichen Friedlichkeit etwas ganz Besonderes ist.